Kerstin & Stevie Tarach
  2015 | November | Sea Cloud II | Trans Atlantik Crossing | ... Alinea ...

Alinea

 

... tja, wo soll ich nur anfangen???? Mag zwar sein, dass der Michelin ausschließlich nur die Küche bewertet, wenn er seinen Sternenhimmel zeichnet ABER für mich gehört zum Gesamterlebnis „fine Dining“ halt mehr als nur das, was aus dem Kochtopf kommt. Ich finde die Weinkarte genauso wichtig wie die Küche und den Service und seit gestern kommt noch das Mobiliar dazu ...

Alinea Chicago – für viele Gourmets und Sterneköche das Maß aller Dinge und entsprechend hoch waren unsere Erwartungen.
Der ganze Schuppen ist recht dunkel gehalten, was den ein oder anderen Schönheitsfehler geschickt in den Schatten verschwinden lässt. Leider gilt das nicht für die völlig durchgesessenen Sessel, in denen man wie in einer Hängematte hockt und deren vorderer Holm erbarmungslos die Oberschenkel traktiert – ganz ehrlich: ich habe noch niiiiiiie so dermaßen schlecht gesessen, dass ich gar nicht mehr wusste, wo es überall weh tut und wie ich meine Beine unter diesem auch noch viel zu niedrigem Sesseln zusammenfalten sollte. Ach ja und zu allem Überfluss noch direkt die Servicestation im Nacken und ständiges Zupfen an der Frisur - HORROR.

Dann kam gleich die nächste Ernüchterung als man uns mitteilte, dass es nur eine Sorte Sparkling Wasser geben würde und man ansonsten das Zeug aus der Leitung trinken müsse. Ich habe keine Ahnung, warum die sich so viel Mühe mit Aromen geben, wenn sie dann alles gleich dadurch vernichten, dass dieses völlig überchlorte Leitungswasser mittelmäßig aufbereitet in die Gläser kommt – geht gar nicht und ist eine furchtbare Entwicklung.

Ich kann also nicht sitzen und bekomme nun auch noch schreckliches Wasser ...

Dann die Frage nach der Weinbegleitung. Der Beste Ehemann von Allen fragt den mäßig freundlichen und maximal optimierten Maître d’ wie die aussehen würde – wie alt z.B. die Weine sind. Darauf folgt eine Antwort die keine ist und der man eindeutig entnehmen kann, dass der Kerl keine Ahnung hat was serviert wird – eine Liste gibt es nicht – soll ja eine Überraschung sein. Das lasse ich mir zwar vom Essen aber auf gar keinen Fall vom Wein gefallen.

Zwischendurch drängelt sich ein Servicemitarbeiter an den Tisch und legt lustige Bilder aus, damit man auch ohne Erklärung erschmecken kann, was die kleinen, gewürfelten Geschmackskonstruktionen eigentlich darstellen sollen.
Die Kärtchen erinnern nebenbei doch sehr an die verblassten, blaustichigen, grenzenlos gruseligen Aufnahmen der Eissalons der 80igre Jahre ...

Dann also zurück und her mit der Weinkarte, die mich schreckensstarr auf meinem Vierkantholz zittern lässt – wer hat sich denn diese Preise ausgedacht? Hat da einer gewürfelt? Am Ende entscheide ich mich für zwei Amerikaner, die wenigstens halbwegs realistisch gepreist sind.
Während ich also die Weinkarte samt Bestellung weiter gebe, fliegt der erste Gang auf den Tisch.

Derweil platziert irgendeiner der vielen Servicemitarbeiter zwei kleine, weisse Leinenkissen auf dem Tisch und erklärt, dass man doch bitte niemals sein dreckiges Besteck darauf ablegen solle, weil die Kissen für den sauberen Nachschub seien und doch bitte bis zum Schluss eine Augenweide bleiben sollen. Was für ein Unsinn, zumal die Dinger zu keinem einzigen der Besteckteile gepasst haben – weder optisch noch physisch – und der Tisch vom Personal sowieso ständig „eingesaut“ wird ...

Ich kann also nicht sitzen, bekomme schreckliches Wasser, habe noch keinen Wein im Glas, dafür aber einen Haufen Anweisungen bekommen, und das alles interessiert einfach niemanden ...

Der erste Gang war ein Arctic Char mit allerlei Sößchen, Stäubchen, Tupfern und ehrlich, zu dem Zeitpunkt war ich so auf 180zig, dass ich das Futter nicht so richtig wertschätzen konnte. Der Fisch war gut und das Zeug drum herum zu viel Zirkus für meinen Geschmack .

Danach kommt wenigstens der Wein, der leider Zimmertemperatur hat. Prima! Ich sitze (suuuuper schlecht) also in einem der grandiosesten 3-Sterne-Tempel des Planeten, soll einen Lottogewinn für Wein ausgeben, der dann nicht einmal richtig gekühlt ist – tolle Leistung!
Während ich dem Sommelier noch erkläre, dass es auch nichts nutzt, wenn im Kuhler nur der Flaschenboden gekühlt wird, kommt auch schon der zweite Gang.

Als Hommage an Chicago wird auf einer groben Betonplatte ein Pilz serviert, der von grauen Bruchplatten eines irgendwie viel zu süßen Zeugs bedeckt ist und scheinbar symbolisieren soll, dass die Natur auch durch den schlimmsten Beton wieder durchbricht. Um das ganze noch realistischer zu gestalten, wird der Steinbruch bei Tisch mit einem Petersilienspray übersprüht, das leider auch den Tisch einsaut und wenn man nicht hurtig beiseite springt natürlich auch das weisse Hemd ... man muss halt Opfer bringen ...

Ich kann also immer noch nicht sitzen, habe das Wassertrinken eingestellt, schlürfe warmen Wein, beobachte die sich mehrenden Schmierstreifen auf der Tischplatte und überlege, ob ich nicht einfach gehen sollte ...

Irgendwann ist der Weisswein einigermaßen herunter gekühlt und dafür fast leer während verschiedene Gänge mit allerlei Kleksen, Schäumchen und Pülverchen an uns vorüberziehen. Alles sehr gut aber keineswegs herausragend und ich versteh’ immer weniger, was alle am Alinea finden – bei Christian Bau haben wir dieses Jahr schon sehr viel besser und interessanter gegessen – gleiches gilt für Wissler und Elverfeld!

Und natürlich tauchen auch immer wieder irgendwelche Kleinigkeiten auf, die einiges an Finderfertigkeit oder Maulsperre erfordern, weil irgendeine Sphäre nicht mit Besteck gegessen werden kann und auch von den Zähnen erst zerbissen werden sollte, wenn die Klappe komplett geschlossen ist ... viel Effekthascherei ohne das das alles immer sinnvoll ins Gesamtkonzept passt – wenig elegant und eher nach dem Motto „viel hilft viel“ ...

Irgendwann folgt dann ein Gang mit Entenbrust, die ausnehmend gut war. Die dazugehörige Maronensuppe, die nur mit Strohhalm geschlürft werden konnte war eher langweilig und das Mürbeteigschiffchen mit Entenleber völlig unbedeutend.

Dann das Wagyu, dass während eines Ganges bei Tisch in einem offenen Feuer geschmort wurde – grandioses Fleisch mit einer sensationellen Salatbeilage . Wirklich, wirklich gut kann das Gesamterlebnis aber nicht mehr retten.

Für nur einen dreistelligen $-Betrag pro Person extra kommt nun das Trüffelgericht, das als Risotto einfach nur eine glatte sechs ABER als Trüffelgericht recht lecker war.

Zum Schluss dann noch ein allerlei-vom-Lamm-Gang und der war dann auch der einzige, der mal spannend und richtig suuuuper war. Um das Erlebnis zu intensivieren wurde eine gigantische Blumenvase mit allerlei übel zurechtgestutzten Olivenzeigen auf dem Tisch platziert um den Geruch von Oliven zu verstärken und oben in dem Astwerk hockten dann die Schwämme, die man dazu geniessen sollte ... Zirkus!

Vor dem eigentlichen Dessert gab es dann noch zwei Luftballons aus irgendeinem softgummigartigen Film, die mit Helium gefüllt waren. Wir wurden angewiesen die Brillen abzunehmen, die Haare zurück zu streichen und dem Ballon einen Kuss zu geben. Danach quietschte dann jeder in dieser furchtbar kastrierten Stimmlage und das Luftballonzeug war nicht wirklich essbar – wieder so eine Zirkusnummer, die zu nix gut war.

Zum krönenden Abschluss wurde erstmals eine Tischdecke angeschleppt, auf der ein mürrischer, wortkarger und schlecht gelaunter Koch mit allerlei bunten Fruchtpürees ein Kunstwerk malte indem er die Saucen mit großer Geste und elegant aus dem Handgelenk direkt auf dem Tisch verteilte – interessant aber kein Highlight der Patisserie ... und nachdem dann ein riesiger Saucenkleks auf dem Schlips meines Gatten landete, der sowieso schon „geladen“ war, hat er sich den Strick kurzerhand vom Hals gerissen und zu den Resten des Dessert’s hinzugefügt um das Kunstwerk zu vollenden. Das hat dann auch zu den ersten echten Reaktionen der Servicecrew geführt und für uns wie ein Befreiungsschlag gewirkt ...